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Im Flur trifft Matthias Schulz auf Frau S.. Die beiden kennen sich schon. Er erkundigt sich, wie es ihr geht, mit Worten und Händen. Ihre Augen fixieren wachsam seine Gebärden und die Lippen, von denen sie abliest. Dann schießen ihre eigenen Hände zur Antwort wie Blitze durch die Luft, als ob sich ein großes Gewitter entlüde. Auch sie formt dabei Worte, in ungewohnt gleichförmigem Klang, ganz Kontrast zu ihren heftigen Bewegungen. Sie ist wütend über einen Vorfall, bei dem sie übergangen wurde – und ihr ein sehnlicher Wunsch unerfüllt blieb. Der Seelsorger fragt zurück. Er erwägt mit Frau S., was zu tun sei, die Augen immer fragend im Kontakt mit ihren, um sicherzustellen, dass wirklich ankommt, was er sagen will – und er versteht, was sie ihm mitteilt. Als die Wut heraus ist, lässt die Spannung ihrer Bewegungen unvermittelt nach, die Arme hängen herab wie bei einem Vogel mit gebrochenen Flügeln. Sie wirkt traurig. Für einen Moment lässt sie den Blick frei auf die Ängste, die hinter ihrer aufbrausenden Reaktion stetig darauf lauern, sie in seelische Tiefen herunterzuziehen und ihr Leben zu verkrüppeln. Matthias Schulz nimmt sich ganz zurück, lässt ihr Raum, von dieser bedrängenden Wirklichkeit zu erzählen. Wie ein Pflock, der Halt bietet, weist er sie hin auf das, was sie schon geschafft hat. Ohne ihren Schmerz wegzuschieben, hält er ihr Perspektiven vor Augen, auf die sie trotz allem zugehen kann. „Ich möchte den Menschen als Ganzes sehen, nicht nur seine Krankheit. Gerade die gesunden und guten Anteile möchte ich stärken“, sagt er später.
Die B2 ist der Arbeitsplatz des evangelischen Pfarrers und Klinikseelsorger für gehörlose psychisch kranke Menschen. Seit ersten Januar 2002 hat der gebürtige Nürnberger die einzige so spezialisierte evangelische Seelsorgestelle inne, die es im Bundesgebiet gibt, allerdings nur in Teilzeit von 50 Prozent. Mit der zweiten Hälfte ist Schulz auch für die Patienten anderer Stationen da. Die Hälfte der Kosten seiner Arbeit trägt das Klinikum am Europakanal selbst. Für die medizinisch-therapeutische Behandlung hörgeschädigter Menschen in Psychiatrischen Kliniken bietet neben Erlangen nur noch das westfälische Lengerich bei Osnabrück eine Spezialabteilung an. Entsprechend bunt gemischt ist die Herkunft der Patienten, die auf der B2 zu finden sind – aus ganz Deutschland kommen sie hierher, um individuelle Hilfe zu erhalten gegen ihre Psychosen, Depressionen, Suchterkrankungen oder Angstzustände.
Der ehemalige Schwaiger Gemeindepfarrer betrat damals mit diesem Arbeitsfeld Neuland. Zwar hatte er bereits während des Theologiestudiums ein soziales Jahr in einem Pflegeheim für behinderte Menschen in Lübeck gemacht, das seine ganze weitere Arbeit prägen sollte. „Da hat es mich gepackt“, beschreibt er den Anstoß, mit Menschen, die „anders“ sind, zu arbeiten. Auch im Theologiestudium und einer Klinischen Seelsorgeausbildung (KSA) hat sich der Pfarrerssohn ganz bewusst damit auseinandergesetzt, wie er Menschen mit besonderen Lebenssituationen oder an Einschnitten ihrer Biografie verantwortungsvoll begleiten kann. Aber dann musste er erst einmal eine andere Sprache lernen, um das, was er mitbringt, den Patienten verständlich zu machen: die Sprache der Gebärden. Auch an die Besonderheiten der Krankheitsbilder, an die Wechselbäder der Gefühle und fremden Denkwelten der Menschen in dieser Klinik musste er sich erst langsam herantasten.
Die gesunden Anteile der Patienten stärken möchte er gleichermaßen in den anderen Bereichen seiner Arbeit. Abwechselnd mit anderen Seelsorgerinnen und Seelsorgern des Klinikums, hält er sonntags um 10.00 Uhr Gottesdienst in der Krankenhauskirche - und alle drei Wochen auf Station. „Mut haben, Mut bekommen“ hieß einer und der Pfarrer betont, dass es ihm darin auf klare Botschaften ankomme. „An diesem Ort wollen sich die Menschen nicht bilden, sondern etwas erleben, was ihnen gut tut“. Als Kirchenmann ist ihm besonders wichtig, dass die Menschen sich akzeptiert und erwünscht fühlen können. Eine Gegenerfahrung sollen sie machen dürfen zu dem, was sie mit ihren Ängsten oder Verhaltensauffälligkeiten im Alltag sonst erleben: nämlich abgeschoben oder abgelehnt zu werden, unverstanden zu bleiben. Wert legt er auch darauf, ein Gesprächspartner für religiöse Themen zu sein und die Menschen danach zu fragen, wie Kirche ihnen in ihrem bisherigen Leben begegnet ist. Ein wöchentlicher Bibel-Gesprächskreis bietet dazu Gelegenheit, in dem der ausgebildete Bibliodramaleiter nicht nur den Kopf fordert, sondern viel „über Körperausdruck oder mit Farben“ arbeitet.
So speziell seine Tätigkeit ist, Matthias Schulz ist doch eingebunden in das ökumenische Seelsorgeteam. Auch an der Therapeutenrunde in der B2 nimmt er regelmäßig teil, um die Entwicklungen und Besonderheiten seiner Schützlinge mitverfolgen zu können, seelsorgerliche Arbeit mit der therapeutischen zu koordinieren und sich in Einzelfragen zu beraten.


(Artikel in Erlanger Nachrichten von Pfrin. Elke Wewetzer)


 
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